inter art project
Etwas zum Konzept
Wir sind ständig umgeben von den Klängen, Rhythmen und Melodien des Alltags, mehr als das, wir produzieren sie mit. Die akustische Umwelt differenziert, gar musikalisch wahrzunehmen, liegt dabei zuerst bei uns selbst und unserer auditiven Sensibilität. Diese spielerisch zu nutzen und dabei lustvoll weiterzuentwickeln, ist ein Hauptziel der KlangWeltKarte. Wir leben in einer Symphonie - und gestalten sie durch unser Tun mit, zum Positiven oder Negativen.
Die KlangWeltKarte enthält 201 verschiedene Soundfiles. Dies sind 152 Klangporträts einzelner Orte, 37 Regionen oder Zonen, 7 Kontinente und ein "Weltenklang". Sie sind angesiedelt auf vier Ebenen verschiedener Konkretisierung:
Die 156 Orte sind Klangporträts, musikalisch "herausdestilliert" aus akustischen Umweltimpressionen von den verschiedenen Originalschauplätzen. Sie dauern zwischen 0:06 und 1:05 min., zum Teil handelt es sich um richtige kleine Hörstücke, zum Teil um essentielle und signifikante Klangkonglomerate. Immer ist, neben der Eigenart des "Soundfiles" als spezifische Klangfigur, auch die Wiedererkennbarkeit eines bestimmten Ortes oder einer Landschaft intendiert.
Die 37 Regionen oder Zonen sind eine Abstraktionsstufe höher. Sie sind in der Regel kürzer als die Orte und vereinen signifikante Klangereignisse der in der Region befindlichen Orte. Es handelt sich um eher fliessende, im Inneren aber sehr filigran strukturierten Klänge mit ganz bestimmten Charakteren. Meistens verbleiben in dieser Kategorie Soundfile zumindest bruchstückhaft einzelne wiedererkennbare Klangereignisse, sie haben aber immer auch übergreifenderen Charakter. Diese Soundfiles werden beim Spielen automatisch geloopt und bilden daher Klangflächen.
Die 7 Kontinente sind schon ganz weit von den konkreten Originalklängen entfernt. Diese Soundfiles sind sehr kurz. Sie beinhalten eine Stimme, einen Umweltklang, außerdem ein Instrument und sind auf eine bestimmte Tonhöhe gestimmt, so entsteht eine Art "Tonleiter". Auf der fliessenden Skala von "konkret" zu "abstrakt" haben sie die Ebene eines Instrumentes erreicht.
Die höchste Abstraktion stellt ein "Weltenklang" dar, ein sehr differenziertes weisses Rauschen, welches potentiell alle nur denkbaren Frequenzen, alle Melodien, alle Rhythmen und Klangfarben gleichzeitig enthält. Dieser Klang ist ein Akkord verschiedener wirklicher Klänge (Niagara-Fälle, das Raunen einer großen Menschenmenge auf dem Platz des Friedens in Peking, Wind über balinesischen Inseln, ein Wolfsheulen vier Oktaven nach unten transponiert sowie flackerndes Feuer) die alle verschieden lange Zyklen beinhalten, die in der "Sustain-Phase" geloopt und erst nach sehr langer Zeit (ausserhalb der Erinnerbarkeit) genau zusammenkommen. Auf diese Weise ist der "Weltenklang" zwar selbstähnlich, verändert sich aber fliessend und ununterbrochen und dies praktisch ohne wörtliche Wiederholung.
Die drei Abspieltische, die "Weltklangklaviere" weisen auf ihrer Oberfläche eine stilisierte Darstellung jeweils eines Teiles des "Wanddisplays", die Konturen der Erdteile auf. Am linken Spieltisch können die insgesamt 50 Soundfiles der definierten Orte, Zonen, etc. von Alaska, Canada, Nord- und SÜdamerika abgespielt werden. Der mittlere Spieltisch enthält die 101 Soundfiles von Europa und Afrika, der rechte die 50 von Asien und Australien, sowie den der Antarktis. Der "Weltenklang" ist auf allen drei "Welklangklavieren" vertreten.
Die Taster sind je nach Ebenenzugehörigkeit unterschiedlich ausgeführt. Dadurch und durch die dreidimensionale Gestaltung der Spieltisch-Oberflächen ist die KlangWeltKarte auch für Blinde und Sehbehinderte geeignet.
Ausgangsmaterial für die Soundfiles sind ausschliesslich originale Umweltklänge, die im Computer verarbeitet wurden. Die musikalische Gestaltung der einzelnen Soundfiles bestimmt dann den Veränderungsgrad, der vom reinen Tonschnitt zur Erzeugung einer naturalistisch anmutenden Tonszene bis hin zu extremen Verfremdungen durch dichte Überlagerungen, Filtern, Reverse, Time-Stretching, etc. gehen kann.
Jeder Soundfile beschreibt eine eigene, unverwechselbare Klangfigur, die sich kontrapunktisch zu einer/den anderen in einen musikalische Beziehung setzen lässt. Man kann also einen Soundfile singulär und ganz anhören oder auch mehrere gleichzeitig und zeitlich versetzt abspielen. Die einzelnen Soundfiles sind digital gespeichert und über einen speziell programmierten Sampler abspielbar.
Zusätzlich zu den (50 bzw. 101) Soundfile-Tasten gibt es pro Tisch noch zwei Tasten, die musikalische Veränderungen innerhalb des Soundfiles erlauben. Die eine bewirkt, daß jeweils nur kurze Teile des Soundfiles gespielt werden mit sehr kurzen Einschwing- und Ausschwingphasen ("Scratchen"). Die andere Taste ruft wiederum einen anderen Ausschnitt des Soundfiles ab und verlängert gleichzeitig die Ein- und Ausschwingphasen, sodass ein sanftes Gleiten (Cross-Fade) von Soundfile zu Soundfile möglich wird. Werden beide Tasten gleichzeitig gedrückt, hat dies einen ähnlichen Effekt wie das Haltepedal beim Klavier.
Jeder Abspieltisch ist vierstimmig, die Soundfiles werden durch zwei Kopfhörerpaare pro Tisch wiedergegeben. Ein weiterer Schalter am Tisch ermöglicht aber außerdem, sofern dieser Schalter an jedem Tisch umgeschaltet ist, dass alle drei Tische zusammengemischt werden und über eine fest installierte 5.1-HiFi-Audioanlage über Lautsprecher zu hören sind. In diesem Fall kann bis zu 12-stimmig gespielt werden.
Das Wanddisplay zeigt auf 2,40 x 10m die Welt, um deren Klang es geht. Allerdings wird durch Proportionierung, Farbgebung und durch graphische sowie typographische Elemente eher der künstlerische als der dokumentarische Charakter der interaktiven Installation pointiert. Die Orte werden durch leuchtend rote LED‘s visualisiert, die Regionen und Kontinente durch hinter der farbig bedruckten Oberflächenfolie aufleuchtende Licht-Flächen. Es kann durchaus reizvoll sein, die KlangWeltKarte auch nach rein visuellen Gesichtspunkten zu spielen.
Die Proportionen der Weltkarte sind verzerrt, verfremdet. Da eine Objektivität und völlige Gleichbehandlung aller Orte der Welt (auch natürlich wegen fehlender Detail-Information) nicht möglich war und bei der gesamten Gestaltung das subjektive künstlerische Empfinden letzte Entscheidungsinstanz war, wurde die "Zentralperspektive" ZKM Karlsruhe noch einmal maßlos übertrieben. Der Bereich Südwestdeutschland wird wie durch eine Lupe hervor-gehoben, die Proportionen werden mit zunehmender Entfernung immer ausgeglichener, dies eine konzeptionelle Setzung, die dem Standort der Installation besondere Ehre erweist und als Tribut an die Besucher aus der Umgebung diese (auch akustisch) besonders ausdifferen-ziert. So kann jeder Besucher die Klangunterschiede verschiedener nahegelegenen Orte sinnlich nachvollziehen. Auf der gesamten Karte gibt es keinerlei Ländergrenzen, die Regio-nen sind nicht scharf gegeneinander abgegrenzt, auch dies eine leicht nachvollziehbare konzeptionelle Setzung. Ein im Computer des mittleren "Weltklangklaviers" installierter Sequenzer ermöglicht Rezeption auch ohne Interaktion sowie die digitale Speicherung besonders gelungener Sequenzen. Außerdem ermöglichen in den Spieltischen eingebaute Cassettenrecorder den Besuchern, ihre live erstellten ganz eigenen Umweltklangkom-positionen und Klangweltreisen aufzunehmen und nach Hause mitzunehmen.
Die KlangWeltKarte will einen fließenden und dabei nachvollziehbaren Übergang schaffen zwischen "naturalistischer (aber natürlich ebenfalls medialer) Umweltschilderung" und konkreter Musik. Klangökologische Dokumentation einerseits und neues Live-Instrument für "Musique concrète" zugleich, soll die KlangWeltKarte die Musik des ganz normalen Alltags sinnlich erfahrbar machen. Sie ist Teil meiner Werkgruppe „Zur akustischen Ökologie“ und möchte sensibilisieren für die Schönheit und den Reichtum, aber auch für die Verletzlichkeit unserer akustischen Umwelt.
Thomas Gerwin "KlangWeltKarte (1997) >Written Article Musikwissenschaftlicher Artikel über die interaktive Klangkunstarbeit im ZKM Karlsruhe bei >kunsttexte.de unter dem Thema "Klangkartographien - Sound Mapping", Redaktion: Julia Schröder Die Beiträge sind geordnet nach musik- bzw. kunstwissenschaftlichen Beiträgen (u.a. von Prof. Dr. Christa Brüstle und Dr. Julia Schröder 2013) , gefolgt von Künstlerbeiträgen und anschließend von Beiträgen aus anderen Disziplinen. Klangbeispiele in Form von Audiodateien sind den Beiträgen folgender Autoren beigefügt: Blondeel, Engelen, Gerwin, Matthias, Tosques. >> Alle Artikel dieser Ausgabe